Die Salzburger Festspiele begehen am Samstag ihren 100. Geburtstag: Am 22. August 1920 schlug mit dem ersten “Jedermann” vor dem Salzburger Dom die Geburtsstunde des Festivals, das sich zu einem der bedeutendsten Kulturveranstaltungen weltweit entwickelt hat. Die Salzburger Festspiele haben den Festakt zum “Jedermann-Tag” erklärt, an dem es unter anderem Lesungen mehrerer Jedermann-Darsteller in der Stadt gibt. Darüber hinaus werden auf der Video-Wand auf dem Kapitelplatz mehrere “Jedermann”-Aufführungen vergangener Jahre gezeigt. Die Festvorstellung findet um 21.00 Uhr statt, und soll von Alexander Van der Bellen und Frank-Walter Steinmeier besucht werden. Das Stück von Hugo von Hofmannsthal hatte nach der Premierenvorstellung eher maue Kritik erhalten.
Einen Abschluss fand unterdessen die Reihe “Reden über das Jahrhundert” in der Felsenreitschule. An vier Samstagen hatten die Salzburger Festspiele anlässlich ihres Jubiläums ausgewählte Redner eingeladen, über das vergangene Jahrhundert zu sprechen. Die Idee und Frage hinter der Veranstaltungsreihe war es, ob der Glaube an die Kraft der Kunst, wovon die Gründerväter überzeugt waren, in einem veränderten Jetzt noch Sinn geben.
Mein Leben war leider vom Schlimmsten geprägt”, sprach Cellistin und Auschwitzüberlebende Anita Lasker-Wallfisch von einem großen Bildschirm. Aufgrund der aktuellen Reisebestimmungen und ihrer Zugehörigkeit zur Risikogruppe mit 95 Jahren, haben sich die Festspiele entschlossen, ein Kamerateam nach London in ihre Wohnung zu schicken und die Rede aufzuzeichnen. Musik als Lebenselixier, das sei der Grund, warum sie noch am Leben ist. Anita Lasker-Wallfisch ließ die Zuhörer Teil haben an ihren Überlegungen, warum ausgerechnet sie bei den Festspielen sprechen muss.
Die Schauspielerin Elisabeth Orth, die selbst schon oft Teil der Salzburger Festspiele war und die Bühne in der Felsenreitschule beim letzten Mal als Portia in Shakespeares “Julius Caesar” betreten hatte, eröffnete ihre literarische Rede am Gründungstag, an dem vor 100 Jahren zum ersten Mal der Jedermann in Salzburg gespielt wurde, mit Hugo von Hofmannsthals “Psyche”, dem Dialog eines Menschen mit der sterbensmüden Seele. Eine literarische Rede über “das Wunder des Überlebens” lautete der Titel der Rede auf dem Programmheft, der von Festspielmitbegründer Ernst Lothars gleichnamiger Autobiografie entlehnt ist und woraus Orth ebenfalls vortrug.
Während Ernst Lothars Beschreibungen eher seine Gegenwart behandelt, sehnte Stefan Zweig sich in “Glanz und Schatten über Europa” eher nach der Vergangenheit, der “Epoche des Weltvertrauens”, der Zeit der Jahrhundertwende vor dem ersten Weltkrieg. Manche von Zweigs Fragen schienen in dieser Lesung aktueller denn je. Ist der Aufstieg zu rasch gekommen? Hatte der Überschuss an der Kraft der Länder Schuld am Krieg? Aktuell ist es weniger Krieg als die Krise, die einen Schatten über Europa und die ganze Welt wirft, doch die Fragestellung kann auch dafür übernommen werden.
Über die Notwendigkeit des Elends sinnierte Orth in Brechts Gedicht “Die 3 Soldaten” und auch in einem Auszug aus dem “Jedermann” erbittete dieser ein Entkommen aus dem eigenen Elend. “Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern in sich erschaffen zu können” schrieb Nietzsche – die einzige Antwort, die Orth ans Publikum richtete, ohne, dass ihr eine Frage voraus gegangen war. Dabei blieb es auch. Die eingangs gestellte Frage nach der Kraft der Kunst konnte das Publikum nun mit reichlich literarischen Denkanstößen nach der eineinhalbstündigen Lesung selbst beantworten. Großer Applaus für Elisabeth Orths Vortrag.
(APA/red)
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