Welser-Möst findet taktvolle Worte über stürzenden Trump

Franz Welser-Möst ist seit 2002 Chefdirigent des renommierten Cleveland Orchestras im Bundesstaat Ohio. Wer schon einmal die Stadt besucht hat, weiß wie es dort aussieht. Gleich hinter der fotoschönen Downtown-Skyline beginnen die Suburbs. Untertags gehört Downtown den Büromenschen, am Wochenende den Stadionbesuchern und in der Nacht den Obdachlosen. Rund 385.000 Einwohner leben in Cleveland, wobei die Innenstadt wie in vielen “Metropolen” Amerikas kein attraktives Wohngebiet ist. Angesichts des verkündeten Wahlsieges von Joe Biden im Rennen um die Präsidentschaft sprach der USA-Experte Franz Welser-Möst mit der APA.

Welser-Möst: “Message war: Wir sind ausgelaugt von Trump”

Der Dirigent sprach unter anderem über die nachhaltigen Folgen des Trumpismus, die Parallelen zwischen Joe Biden und Angela Merkel sowie die Frage, warum Siegen immer sexy ist.

Ist der Wahlsieg von Joe Biden gut für die USA?

Franz Welser-Möst: Nach vier Jahren der permanenten Aufregung und des permanenten Zuspitzens wird es dem Land guttun, von jemand regiert zu werden, der eine ruhige Hand hat.

Sie sehen Joe Biden als die Angela Merkel der USA?

Welser-Möst: (lacht) Joe Biden hat zumindest den Ruf, auch mit den Republikanern gut zu können. Und das US-System der Checks and Balances mit den drei Säulen Präsident, Senat und Repräsentantenhaus funktioniert nur, wenn immer wieder ein gemeinsamer Weg gefunden wird.

Hat Biden mit diesem Ergebnis genügend Rückenwind, um die Gräben in der US-Gesellschaft zu überwinden?

Welser-Möst: Das glaube ich schon. Denn so knapp ist das Ergebnis letztlich nicht. Biden hat etwa eine Million mehr Stimmen Vorsprung bei den Gesamtstimmen als Hillary Clinton vor vier Jahren. Der Eindruck des knappen Ergebnisses am Wahlabend war wohl auch dem komplexen Wahlsystem geschuldet. Außerdem ist Gewinnen und Siegen immer sexy – das ist auch im Sport so. Und wir vergessen immer, dass für die überwiegende Mehrheit der Wähler der Wahlvorgang ein emotionaler Akt ist.

Sehen Sie mit dem Gewinn der Demokraten nun auch das System des Trumpismus am Ende?

Welser-Möst: Man sieht schon die ersten Absetzbewegungen von Trump. Das ist ja immer so: Sobald derjenige vorne schwächelt, wird das Pack hinten unruhig. Der Mensch ist eben auch nur ein Tier, das ist wie beim Wolfsrudel. Die Republikanische Partei hat nun jedenfalls das Riesenproblem, dass es den harten Kern gibt, der Trump verehrt wie einen Sektenführer – und Fanatismus ist immer schwierig. Es war aber auch schon bei der Wahl selbst hochinteressant, dass Trump-Kritiker aus den Reihen der Republikaner bei der Kongresswahl besser abgeschnitten haben als Trump bei der Präsidentenwahl. Die Message war: Wir sind ausgelaugt von Trump.

Was wird bleiben vom Trumpismus in der US-Gesellschaft?

Welser-Möst: Das größte Problem ist eines der politischen Kultur. Trump hat geschafft, dass das, was man als American Decency, also den amerikanische Anstand, kannte, nicht mehr zählt. In meinem Bundesstaat Ohio, wo der Sitz des Cleveland Orchestras ist, wurde etwa der Parlamentspräsident rechtskräftig wegen Korruption verurteilt – und der wurde in seinem Wahlkreis wiedergewählt! Hinter Trump hat sich eine Flutwelle an Unmoral aufgebaut. Es wird nicht einmal mehr Scheinheiligkeit vorgetäuscht.

(APA/red)