Selbstkritik des Presserats für "schoafe" Fotos in Medien
Der Österreichische Presserat versteht sich als moderne Selbstregulierungseinrichtung im Pressebereich, die der redaktionellen Qualitätssicherung sowie der Gewährleistung der Pressefreiheit dient. Alle großen Zeitungsverlage sind mit Redaktionsvertretern im Gremium vertreten, nur die Krone nicht. Darüber hinaus gibt es ein paar freie Journalisten, die sich ihre Auftraggeber aussuchen können, sowie Experten, die dank Medienförderungen Funktionen im Verein bekleiden dürfen. Seit die TZ Österreich dem Presserat beigetreten ist, gelangen grobe Verstöße nur mehr seltener an den Pranger der Öffentlichkeit.
Click-Bait Ibiza-Lockvogel
Der Presserat übt sanfte Kritik an der Veröffentlichung der Fahndungsfotos der vermeintlichen russischen Oligarchennichte aus dem Ibiza-Video in mehreren Medien. Er empfiehlt, in solchen Fällen mit mehr Sensibilität vorzugehen, sich nicht allein auf die Einschätzung der Behörden zu verlassen und stärker auf den Persönlichkeitsschutz der betroffenen Person zu achten.
Redaktionen zu ungestüm
Der Senat 1 des Presserats hielt in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme fest, dass in der Kriminalberichterstattung die Identität von mutmaßlichen Straftätern oder Verdächtigen unter gewissen Umständen preisgegeben werden dürfe. Behördliche Ersuchen befreiten Redaktionen jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, vor der Veröffentlichung die Verhältnismäßigkeit und eine mögliche Verletzung des Persönlichkeitsschutzes zu prüfen, so der Senat.
Lüsterne Fahndung nach Verbrecherin
Medien seien angehalten, bei Bildern zu Fahndungszwecken die Schwere und das Ausmaß der vorgeworfenen Straftaten zu berücksichtigen. Jener Verdächtigen, die als Lockvogel gedient haben soll, seien bisher offenbar keine schwerwiegenden Strafdelikte vorgeworfen worden, gibt der Senat zu bedenken. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass die Veröffentlichung der Fotos eine Gefährdung der Frau zur Folge haben könnte.
So arbeitet der Presserat
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Der Verein dient der Förderung der Pressefreiheit, sowie eines der Wahrheitsfindung und Korrektheit verpflichteten Gebrauchs derselben, und der Wahrnehmung der Selbstkontrolle der Printmedien sowie von Nachrichtenagenturen. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind prinzipiell weisungsfrei und unabhängig.
Beschwerden über Medienberichterstattungen können von jedem an den Presserat herangetragen werden. Meistens geschieht dies durch Leserzuschriften privater Personen oder durch Institutionen, deren Aufgabe es ist, den Rat über Beschwerden zu informieren. Die einzelnen Fälle werden von den Vereinsmitgliedern, die in verschiedenen Senaten aufgeteilt sind, behandelt und beantwortet. Sollte ein schwereres Vergehen vorliegen, leitet der Presserat ein Verfahren ein und verhandelt darüber, wie bei einem Gericht. Entschiedene Fälle werden schließlich auf der Website https://www.presserat.at/ mitsamt ausführlicher Begründung publiziert. Um Resonanz bei anderen Medien zu finden, und nicht nur in den eigenen (Stichwort Selbstkontrolle), wird eine OTS-Meldung veröffentlicht.
Pressegericht irrt sich selten
Damit der Presserat aktiv wird, muss nicht erst ein Verfahren eingeleitet werden. Oft reicht eine Stellungnahme aus, um Beschwerdefälle zu beantworten. Oder ein geharnischter Brief an einen verantwortlichen Chefredakteur.
Beschwerden gibt es mitunter auch für Postings von Usern unter Artikeln, die nach Ansicht von Beschwerdeführern irreführend, falsch, beleidigend oder strafbar sind. Die Grenzen zu erkennen, ist zwar meist nicht die Aufgabe einer Chefredakteurin, aber die sind schlussendlich verantwortlich für Inhalte rund um eine Artikelplatzierung, wenn es sich um Leserkommentare handelt. Werbeausspielungen sind nicht betroffen, obwohl technisch betrachtet kein Unterschied in der Art der Bereitstellung vorliegt. Sowohl Werbeeinschaltungen als auch User-Postings können vom verantwortlichen Redakteur, und erst recht vom Chefredakteur, mit oder ohne Kommentaren oder Werbebanner auf Online-News-Portalen publiziert werden. Wenn es hart auf hart kommt, werden Chefredakteure vor ordentliche Gerichte geladen und sind haftbar.
Frage der Einschätzung
Dass die besten und klügsten Journalistinnen des Landes selbstverständlich ihre Unabhängigkeit wahren, auch wenn eine Abhängigkeit durch den Arbeitgeber besteht, kann geglaubt werden. Kürzlich erhielt Standard Chefredakteur Kotynek einen Brief vom Presserat, weil sich ein Arzt beschwert hatte über die Meinung eines Users. In einem Artikel-Posting vom 11. März 2020 auf derstandard.at behauptet eine Userin zusammengefasst: "Tatsächlich aber würden nur wenige an Coronavirus sterben, alle anderen leiden an Erkältungssymptomen und werden wieder gesund. Virologen hielten die Aufregung für überzogen, auch wenn sie die Quarantänemaßnahmen unterstützen. Gesamt betrachtet werde die Krankheit keine gravierenden Konsequenzen haben."
Selbstkontrolle mit Zensurcharakter
Der Senat hat beschlossen, in dieser Angelegenheit kein Verfahren einzuleiten. Und liefert eine Begründung mit, die zeigt, wie hoch das eigene Urteilsvermögen eingeschätzt wird: "Der Senat teilt die Ansicht des Arztes, dass sich die Äußerungen der Autorin nicht mit den aktuellen Erkenntnissen zu COVID-19 decken. Für die Leserinnen und Leser entsteht der falsche Eindruck, dass das Coronavirus für einen Großteil der Gesellschaft nicht ansteckend sei. bzw. gefährlich sei. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Kommentars warnten zahlreiche Ärzte und Experten bereits vor der Gefährlichkeit des neuen Coronavirus. Der Senat fordert Sie dazu auf, (Anm. Kotynek) bei Beiträgen über das neue Coronavirus künftig verantwortungsvoller vorzugehen. Zudem merkt der Senat kritisch an, dass der Kommentar auf „derstandard.at“ weiterhin unverändert abrufbar ist."
Beschwerde an den Presserat
Dass der Presserat derart harmlose und im Grunde genommen gar nicht falschen Aussagen bemängelt, und indirekt den Standard-Chefredakteur auffordert, solche Inhalte zu löschen, sagt viel aus über Selbstkontrolle, Verantwortung und Zustand der Pressefreiheit in Österreich aus. Zahlreiche JournalistInnen und ExpertInnen stimmen dem bei.
(key/red/APA)